02.06.2009
Gleich zwei Mal in der Dunckerstraße:

Bilder von Ira Schneider, dem Wahlberliner aus Brooklyn

Kurzer Wechsel überm Bürgersteig

Von Ingeborg Ruthe

Das ist sozusagen sein Elementarzustand: die schwarze Fotografenweste übergezogen, das Basecap eng am Kopf, den grauen Zausebart in die Luft gereckt, und dann ständig hin und her, rastlos für die Kunst, für Leute, denen er etwas Gutes tun will und die Freude haben an seinem Tun. Ira Schneider, der kleine, dünne, liebenswerte Brooklyner Stadtindianer, ist auch in Berlin, seiner Wahlheimat seit 16 Jahren, immer in Aktion: dauernd auf der Suche nach einem Motiv, einem Dreh, einem guten Konzert, einem intensiven Gespräch. Zwischendrin kocht er, leidenschaftlich wie ein Wettkämpfer, für Freunde, wenn sie ihn drum bitten. Berlin und New York, das ist der Humus, auf dem Schneiders Bilder wachsen, das sind skurril-schöne Videofilme - Ira Schneider ist ein Pionier der Bewegung - und aus diesen Filmen gewonnene schön-skurrile Fotos. Der ruhelose 70-Jährige, der in Berlin vor drei Jahren mit dem Hannah-Höch-Preis geehrt wurde, was auch seine enge Geistverwandtschaft mit dem Dadaismus der Zwanzigerjahre belegt, beschickt soeben mal gleichzeitig zwei Außtellungsorte in der Dunckerstraße mit seinen Bildern. Im Café Beakers, seinem Stammlokal, rockt und bluest es von den Wänden. Die Film-Stills und Aufnahmen sind wie ein Tagebuch der Endsechziger-Musikzene um Frank Zappa, Jim Morrison, Jimi Hendrix, Eric Clapton, James Brown und Janis Joplin: exzeßiv, romantisch, verklärt spirituell, meßianisch. Ira Schneider, der Kunsthistoriker und Psychologe, drehte bei Woodstock collagenhafte Filme. "Informelle Stücke" wie er sagt. Etliche der Musiker-Bilder im Beakers stehen noch auf dem Boden. Ira Schneider hat sich beim Außtellungsaufbau böse in den Finger geschnitten, also läuft er in seine Wohnung ganz in der Nähe, die Wunde verpflastern. Eine halbe Stunde später taucht er in der benachbarten Galerie Kuckucksnest auf. Hier hängen die Fotos und Video-Stills schon in Reih und Glied: "Die Wäsche des Leoparden" hat er wahrscheinlich auf einem New Yorker Hinterhof entdeckt, die Fußspuren im Sand gewiß am Strand der Ostsee oder an einem der vielen Seen rings um Berlin. Vom Waßer - sind es Seen, die Spree oder auch nur Regenpfützen? - machte er malerische Farbaufnahmen. Diese Waßerbilder mit ihren sinnlichen Wellen, Schlieren und geheimnisvollem Funkeln sollte man lesen wie eine Geschichte zwischen Wißenschaft, Philosophie und Dichtung. Oder wie eine Partitur für jedwedes Instrument, sodaß ein unglaublicher Klang entsteht: Hoch-Tief, Schrill-Sanft, Dicht-Leer, Dur-Moll. Vielleicht sollten wir sie lesen wie langsam fließende Lyrik. Oder als mit der Kamera erfaßte malerische, zeichnerische, skulpturale, kompositorische Elemente mit einem ganz eigenen Rhythmus: dem Rhythmus von Werden und Vergehen. Eine ganz eigene ruppige Poesie haben diese lapidaren Motive, sie sehen aus wie zufällige Momentaufnahmen. Doch zugleich bekommen sie in der Art, wie Schneider sie zelebriert, etwas alltäglich Universelles. Ira Schneider steht der Sinn nach immer neuen Erkundungen. In Berlin sind es zum Beispiel die ewigen Baustellen, Leerstand, Abriß, Aufbau - und die so im sich dauernd verändernden Alltag der Stadt unvermeidlichen Absurditäten und Vertracktheiten. Dankbar und witzig nimmt er sie auf, läßt den "Zaun mit Kabel" grüßen. Und dann sagt er uns, wie schön Regen in der Stadt sein kann. Er liebt es, das Berliner Lebensgefühl. Galerie Kuckucksnest, Dunckerstr. 76/77 (Prenzlauer Berg). Bis 20. Juni, Mo-Fr 10-18/Sa 11-16 Uhr. Beakers (Café & Bar), Dunckerstr. 69. Bis 11. Juni, tgl. 9-1Uhr. ------------------------------



   
 
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