UFO IN ASPIK
oder
EIN MANN SIEHT FERN UND NAH
Sonya, die Braut, schimmerte blitzblau an diesem Tag. Nur drei Nächte
zuvor hatte ihr Bräutigam noch mürrisch an ihr herumgefummelt,
und schließlich schlug er ihr fluchend mit der flachen Hand
in die Visage. Das sah nicht gut aus. Doch urplötzlich, zwei
Tage darauf, hatte er sich - nach einer Probezeit von insgesamt
ungefähr fünfzig Jahren- dazu durchgerungen, das trübe
Verhältnis amtlich zuzulassen. Es wurde Zeit. Vielleicht erfrischt
es die Beziehung, wenn man bei der Eheschließung von vornherein
ziemlich sicher sein darf, nie und nimmer einer Goldenen Hochzeit
entgegentattern zu müssen. Mein Bekannter, Herr Schneider,
jedenfalls liebte seine Sonya schon so lange so sehr, daß
er auf einmal nicht mehr anders konnte. Sonya stammt aus Japan.
Sonya ist demütig. Abhängig, oberflächlich, charakterlos.
Sie braucht wechselnde Spannung und gaukelt immerwährende Lebendigkeit
vor. Das Miststück ist eine Maschine. Sonya kommt von SONY,
Herr Schneider kommt aus New York und lebt seit 1993 in Berlin.
Er ist Video-Künstler, studierter Neurophysiologe, Fotograf
und einer der auserwählten Männer, die eine Frau zum Kochen
nicht nötig haben. Wegen all dieser Berufungen und aus professioneller
Rücksicht auf die Liebe konnte er es sich leisten, an einem
Sonntag im Juni 1999 seinen Fernseh-Apparat zu ehelichen. Auf Immerwiedersehen!
Vom Hochzeitsakt gibt es einen dreiminütigen Film. Drei Minuten
für die Ewigkeit, frisch geschnitten aus dem außergewöhnlichen
Leben des Ira Schneider. "Fernsehen ist billiger als leben.",
sagt der 62jährige. Und einige seiner Ideen klammern sich an
dieser Behauptung fest.
Ich war als Prediger angeheuert und verheiratete einen feingemachten
älteren Herrn aus New York mit einem blumenbekränzten
japanischen Fernsehgerät, das unter dem Kunstrasenschleier
schon ein bißchen ramponiert aussah. Als Trauzeugen und Brautjungfern
traten eine anmutige Neuseeländerin, eine unfaßbar winzige
Kanadierin und eine nervöse Deutsche auf. Selbstverständlich
waren auch sie von Berufs wegen künstlerisch gestimmt. Alle
taten todernst und hatten vorrangig damit zu tun, nicht ulkig zu
werden. Lachanfälle krachten nach innen. Es war der würgenste
Witz meines Lebens und irgendwie auch der würdigste. Technisch
war die Angelegenheit relativ simpel. Sonya wurde mit einem Antistatiktuch
streifenfrei aufpoliert, dann lieh ihr die am üppigsten belippte
der drei Frauen ihren Mund und die Stimme. Der Meister schnitt sich
in einer Art Vorspiel seine Braut zu Videoschnipseln zurecht. "Yes,
I love him. Yes, I want." Einwandfreies Testbild. Sonya war
willig. Jetzt mußte nur noch das übrige Personal auf
Kommando sekundengenau in ihre entzückenden Pausen hineinmurmeln:
"Willst Du...?" "Ja, ich will." "Bis, daß
der Tod..."....... "Scheißßße! - Ooouuhh
my god - what a fucking phone!" Bei "Bis, daß der
Tod..." mischte sich das auswärtige Leben in die wirkliche
Kunst ein. Ein Telefon zwitscherte. Die Brautjungfer schmiß
die Blumen beiseite, pulte genervt den Akku ihres Handys aus der
Steckdose und tupfte auf Empfang. Irgendwer ließ ihr eine
Allerweltsmitteilung zukommen. Die Hochzeit mußte deswegen
für eine Viertelstunde ausgesetzt werden. Kurz darauf gab Sonya
völlig entstellt den Geist auf, weil der Videorecorder nudelte.
Alles auf Anfang. Alles noch achtmal. Cut, und fertig war die Chose.
Das Werk "SCHNEIDER MARRIES HIS SONYa" steht heute im
Video-Forum des Neuen Berliner Kunstvereins neben anderen Bändern
des Amerikaners. Als Schneider vor anderthalb Jahren in eine neue
Wohnung umzog, bekam Sonya als nachträgliches Hochzeitsgeschenk
einen Kabelanschluß. Seitdem lieben sich die beiden noch ausführlicher.
Er behauptet von sich, einer derjenigen zu sein, die die meiste
Zeit ihres Daseins mit Fernsehen verleben. Vor Jahren hatte er mal
250000 Stunden ausgezählt. Ein Urmensch der Moderne. Seit Kindertagen
hat es ihm die Flimmerkiste angetan. "1947, da war ich acht
Jahre alt, hatte meine Familie in Brooklyn den einzigen Apparat
im ganzen Straßenzug." Ira Schneider, 1939 in Manhattan
geboren, ist beinahe so alt wie mein Vater, und manchmal denke ich
darüber nach, wie mir ein solcher Mann als Vater hätte
bekommen können. Wäre ich gutartig verrückt geworden?
Hätte er mir eine völlig fremde Mutter beschafft? So eine
friedlich durchrauschte Flower-Power-Schabracke, die mir nur das
Erlaubte verboten hätte. Schneider, den es durch die ganze
Welt getrieben hatte, lernte ich Ende der neunziger Jahre im Lokal
"Torpedokäfer" in Prenzlauer Berg kennen. Ein idealer
Platz um Außerirdische zu treffen. Vier Wochen zuvor war ich
dort einer umwerfend traurigen Frau begegnet, die sich Natascha
nannte, angab, in direkter Linie von der russischen Zarendynastie
der Romanows abzustammen und eigentümlich schöne Fotografien
mittels militärischer Nachtsichtgeräte fabrizierte. Grünstichige
Lichtspiele, wie giftige Schlieren und Tang in Pfefferminzlikör.
Der Anblick riß einem die Augen aus. Gemäßigtere
Bilder malte sie einfach. Wir soffen schleunigst, und immer dringender
war mir nach Ruhe zumute. Natascha fiel aus. Ich hatte genug mit
mir zu kämpfen. Der grauhaarige Mann am Nebentisch nickte ahnungsvoll,
und durch alle meine Nebel hindurch konnte ich gerade noch erkennen,
wie er mich an seinen Tisch herüber winkte. Er spendierte ein
Bier, ich propfte herumliegende Apfelsinenhälften wie ein Blütenmuster
auf den abgesplitterten Glasrand. Da blitzte es. Der Mann hatte
auf einmal eine Kamera in der Hand und mein armseliges Experiment
festgehalten. Er nannte es "Apfelsinenbombe". Daraufhin
fachsimpelte er über Bilder und Berlin und die Welt dahinter.
Es war gerade die Zeit, als sämtliche Zeitungen, Journale und
TV-Sender nicht mehr damit aufhören konnten die allerneueste
"Neue Mitte" zu ermitteln. Die in der Politik, die in
der Kultur und die interne Jubel-Trubel-Mitte von Berlin sowieso.
Berlin wollte wahnhaft das Zentrum der Mitte sein. Vom Untergrund
bis zum Gipfel. Es gab kaum einen Artikel in dem nicht von Berlin
als einer "Doch-irgendwie-vielleicht-etwas-später-unter-Umständen-mal-sowas-wie
New York werden könnenden Metropole die Rede war. Schneider,
bestechend darin, seine Beobachtungen für den Moment einzufrieren,
hatte für die ganze Panik einen coolen Satz übrig: "Es
gibt ein Loch in Brandenburg, das heißt Berlin, ich wohne
mittendrin". Er nennt das einen "topographischen Witz".
Ira Schneider sieht sich genau um in diesem Loch und hält die
seltsamen alltäglichen Risse im Vorbeigehen mit der Kamera
fest. Wenn er eine versottete Hauswand fotografiert, dann gibt Putz
unter Schmutz ein Stilleben preis. Gerümpel muß nicht
gleich anmuten wie Dreck. Mitunter schaut ein Gesicht heraus. Schneider
ruckelt nicht an seinen Motiven, er stellt nichts hin, schiebt nichts
beiseite, propft nichts rein. In seinen Augen mag das ein Kinderspiel
sein: Ich sehe was, was du nicht siehst! Bilder, schöne Bilder,
wunderschöne Bilder. In seinen Foto-Serien "WAND UND BODEN"
- Bilder von "anthropologischem Abfall" oder "BAULIN"
--
Bilder von der Berliner Bauwut, kümmert er sich um alte Reste,
die noch keiner weggemacht hat und das neu scheinende Drumherum.
"Die Welt ist alles, was Verfall ist." Eine geborgte Weisheit
bringt er mit seinen Fotografien regelmäßig auf den neuesten
Stand. Seine zerkleinerte Welt trägt Schneider immer bei sich.
Man begegnet dem mittelgroßen, grauhaarigen Mann auf der Straße
nie ohne Gepäck und Kamera. Er ist einer dieser klassischen
Tütenträger, die leicht geduckt den hastigen Passanten
das Tempo wegnehmen. Ein knorriger Stock im strudelnden Fluß.
Vielleicht bleiben deshalb alltägliche Beobachtungen als etwas
Besonderes an ihm hängen. Berlin findet er der breiteren Bürgersteige
wegen besser als New York. Es gibt mehr Platz zum Anhalten. Schneider
spaziert, biegt sich urplötzlich nach unten und fotografiert
einen übergluckernden Gully im Halbschatten der Gosse. Auf
dem Abzug wird das dann wie eine verregnete Mondfinsternis aussehen,
oder wie UFO in Aspik. Ein Bordsteinkanten-Universum. Solche Bilder
stochert er mit der Kamera gezielt aus dem Haufen Nichts, das niemand
sonst auch nur eines Blickes würdigt. Schneider ist ein besessener
Makromane. Er guckt sich die weite Welt winzig. Und orakelt darüber
hinaus. "Die Zukunft sieht nicht so gut aus, aber nach der
Zukunft wird alles blendend". Derartige Sätze spuckt er
von sich wie einen angefangenen Kaugummi. Wer will, kann an derlei
Erkenntnis weiter beißen. Oder sich bloß davon belustigen
lassen. Schneider brütet nicht unendlich auf seinen Ideen herum,
bis alles zu nichts verdampft ist. Seine Einfälle verrunzeln
nie in Hülle und Fülle und Ewigkeit. Schnell macht er
etwas daraus. So regte ihn neulich auf, daß immer mehr Golfplätze
überall auf der Welt dem armen Leben Platz rauben. Er machte
sich ans Werk, dieses Übel des Überflusses anzuzeigen.
PLANET GOLF ist eine Landkarte, die unseren Globus als fein geharkte
und wild gelöcherte Ödnis aus künstlichen Grüns,
bunten Fähnchen und Sandgruben besichtigt. Die Welt ist alles,
was Verfall ist. Die Natur der Zivilisation bildet er immer wieder
ab.
Er persönlich wirkt irgendwie nicht so speziell in seinen Einzelheiten.
Es gibt Menschen, die man allein an ihren gestorbenen Augen erkennt
oder daran, wie sie lauthals den Mund halten. Herr Schneider sieht
einfach aus, wie man sich jemanden vorstellt, der Schneider heißt.
Plus weisem Bart und im Winter immer mit Mütze. Den Amerikaner
hört man natürlich aus gewrungenem Deutsch heraus. Besonders
am halberbrochenen amerikanischen R und den ungestrichelten Umlauten
gibt er sich zu erkennen. "Kuhlschranktur" ist so ein
entlarvendes Wort. Und hinter jener Kuhlschranktur tut sich noch
eine andere Welt des wortkargen Mannes auf. Er ist ein begnadeter
Küchenmeister. Einmal, als wir uns schon eine Weile kannten,
schleppte ich Freunde an. Mister Schneider hatte angerichtet, wie
man das nie für nordamerikanisch halten würde. Sachen,
die nicht sofort mit aller Gewalt nach irgend etwas schmeckten.
Raffiniertes Essen ist vorsichtig wie ein leiser Witz. Auch darin
ist Schneider Feinschmecker. Seit Jahren tafelt er Köstliches
auf, wenn Freunde, Kollegen Partys feiern, oder ab und an Leute
in Clubs oder Galerien auf seine Häppchen scharf sind. Seine
hausgemachte Leberpastete oder die Chicken Wings sind schnell vergriffen.
Für die Crew des Spielfilms "Männerpension"
besorgte Ira Schneider die Verpflegung. Und im Augenblick für
uns. Wir aßen und staunten. Vor unseren Augen zappelten auf
dem Bildschirm Videos vorbei. Männer in unschönen Badehosen,
an einem Strand in Kalifornien. "The guy with the book is from
Germany", nörgelte eine Stimme. Man konnte Heiner Müller,
den gurgelnden Dramatiker, obenrum gerade so an der Zigarre bestimmen
und an der klumpigen Brille. Der Kerl mit dem Buch war 1978 erstmals
in den USA. Im Abspann des Filmes blieb er ungenannt, da kamen nur
Wim Wenders und Jean Luc Godard zur Geltung. Godard verhandelte
gerade über das Remake von "Außer Atem" und
trottete ins Bild.Schneider, der die berühmten Badehosenträger
gefilmt hatte, war damals Professor für Video-Kunst an der
Universität San Diego und ebenfalls Gastgeber. Wir hatten noch
die Mäuler offen, als das eigentliche Menü längst
durch war. Vom nächsten Videoband kreischte Woodstock: Jimi
Hendrix, Janis Joplin, der ganze legendär schöne Morast,
aus dem die Hippies in die Weltgeschichte hüpften und unseren
nachwackelnden Eltern vorturnten, von welch tierischer Wucht Liebe
sein kann, wenn sie die alten Klamotten abfetzt. Jetzt hockten wir
allzeit verschonten Knaben und Mädchen am Tisch des milden
Mister Schneider, der die wüste Welt noch vor ihrem Untergang
angefaßt und eigenhändig in Bildern festgehalten hatte.
Und uns gerade Kaffee nachgoß. Unglaublich. Crazy! Yeah! Schneider
hatte mit Mick Jagger in Altamont auf der Bühne gestanden und
gefilmt, er war mit Andy Warhol bekannt, hat John Belushi beherbergt
in seinem Strandhaus. Dabei ist er nie zwischen all den glorreichen
Schatten sitzen geblieben, wie so einige traurige Gestalten, die
sich im Laufe der Jahre schon mit sich selbst verwechseln, weil
sie immer bloß ein berühmter Anderer sein wollten. Schneider
ist in sich bestens aufgehoben. New York bleibt New York, und wenn
es mit Berlin noch so dicke kommen sollte. So it looks! Für
Oktober plant er gemeinsam mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie
eine Ausstellung der Videoskulptur "Wipe Cycle" in Karlsruhe,
bevor diese vorausichtlich im Sommer 2002 im Institute of Contemporary
Art in Palm Beach zu sehen sein wird. Jene Installation von Schneider
und seinem Kollegen Frank Gillette war 1969 das erste Mal in New
York gezeigt worden. Noch eine alte Geschichte? Der Sonntagsbeilage
der "New York Times" vom 21. Januar 2001 war die Story
unter der Rubrik Kunst und Architektur nach 32 Jahren immerhin eine
Doppelseite wert. Unter der Schlagzeile "Before `Reality TV`
there was `Reality Video` konnte man unter anderem lesen, daß
unser Herr Schneider derselbe war, der an der ersten Video-Kunst-Show
der Welt mitgewirkt hatte. Für mich ganz persönlich bleibt
er der erste Mann, der ehrlich genug war, seinen Fernseher zur Frau
zu nehmen. Die wahre Kunst. Sonya geht übrigens immer noch
blendend. Das Kabel steht ihr gut. Weitsichtig, wie er ist, hat
Schneider sein Testament schon mal gemacht: "Wenn ich sterbe,
möchte ich keinen Grabstein, sondern einen Satellitenanschluß".
Good looking forever!
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